Carolin Emcke, die ich sehr mag, hat ein neues Buch mit dem Titel "Für den Zweifel. Gespräche mit Thomas Strässle" herausgegeben und in einem dieser Gespräche bin ich über den Begriff "Irritierbar bleiben" gestolpert, den sie wie folgt beschreibt:
"Mit irritierbar bleiben oder irritierbar sein meine ich zunächst einmal, dass man staunen kann. Dass man sich überraschen lässt von Eindrücken, von Menschen, von Situationen. Aber eben auch von Argumenten, die man vorher nicht gesehen oder nicht bedacht hat. ... Ich glaube, das ist das Leben. Dass einem Dinge widerfahren können, die das umwerfen, wer man vorher war oder was man vorher dachte oder was man vorher liebte."
"Irritierbar und berührbar bleiben" das erachte ich als äußerst wertvoll. Sich ein kindliches Staunen zu bewahren, offen zu bleiben für Neues, durchlässig sein für Erfahrungen. Im Grimmschen Wörterbuch gibt es einen Eintrag über das Staunen, der insgesamt vierzig Zeilen umfasst und ständig wächst. Bewunderung. Erstaunen. Verwunderung. Staunen.
Gestaunt habe ich auch, als ich den Bleiberger Stollenwanderweg besucht habe, der unterhalb des Schaubergwerks Terra Mystica beginnt. "Stollenwanderweg" steht hier in großen Buchstaben auf einer hölzernen Tafel, sodass man den Eingang nicht verpassen kann. Hier taucht man ein in die Bergbaugeschichte des Ortes, kann an sechs Rastplätzen eine Pause einlegen, den Blick schweifen lassen in die Umgebung, wo sich die Berge türmen, weit weg vom Getümmel und Lärm. Ein Einheimischer erklärt mir, dass die Bezeichnung "Stollenweg" auch eine neue Bezeichnung ist und der Weg früher "Wossalating" hieß, was soviel wie "Wasserleitung" bedeutet. Im 19. Jahrhundert wurde der Nötscher Bach dann umgeleitet, was auch einen wesentlichen Fortschritt im Bleiberger Bergbau brachte.
Dann gehe ich weiter, bewege mich durch alle mir nur erdenklichen Schattierungen von Grün und der Wald scheint sich hier bis in die Unendlichkeit auszubreiten.
Wie du weißt, verstehe ich nicht viel vom Bergbau und daher bleibe ich bei einer Tafel stehen und lese vom Alltag im Bleiberger Tal, erfahre, dass das Hochtal in den letzten Jahrhunderten von sehr harter Arbeit, aber auch sehr großer Geselligkeit geprägt war. Die Bergleute hausten in winzigen Keuschen, wie sie die kleinen Häuschen hier nennen, sie hatten meist auch einen Gemüsegarten sowie eine Stallung für Hühner oder Ziegen. Die Gewerken oder Grundbesitzer hatten im Tal das Sagen, bei ihnen kauften die Bergleute die Waren auch zu völlig überhöhten Preisen ein. Eine Kindheit hatten die Mädchen und Burschen hier wohl keine, denn bereits mit acht Jahren arbeiteten sie als Erzklauberinnen in den Pack- und Waschwerken und die Knaben stellte man als sogenannte Kutterbuben an, die das Erz im Stollen zerkleinerten. Dennoch brachte die gemeinsame Arbeit auch ein reiches Kultur- und Gesellschaftsleben hervor, das bis heute erhalten geblieben ist.
Was bringt euch zum Staunen?
Im Ohr: Raus aufs Land/Die Höchste Eisenbahn
Lesestoff*:
Carolin Emcke: Für den Zweifel. Gespräche mit Thomas Strässle
Dieter Buck: Genusswandern in Kärnten: Leichte Touren zum Schauen, Staunen und Entdecken
Martin Krake: Maremonto Reise- und Wanderführer: Kärnten - die Seenregion
Musikempfehlung*:
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