Buchtipps für ein entschleunigtes Leben

"Achten wir auf die Zeit, vergeht sie langsam;

werden wir von ihr abgelenkt, rennt sie schnell."

(Marc Wittmann)

 

Es gibt immer wieder Zeiten, in denen wir uns gehetzt fühlen, in denen wir keine Möglichkeit sehen, durchzuatmen und wahrzunehmen. Doch in diesem Gehetztsein, entfremden wir uns auch immer mehr von uns selbst und die Bedürfnisse unserer Seele bleiben auf der Strecke. Winfried Hille hat aus diesem Grund ein Buch über die Entschleunigung verfasst, das den Titel "Slow - Die Entscheidung für ein entschleunigtes Leben" trägt. In diesem Buch plädiert der Autor dafür, seine Zeit auch einmal zu vertrödeln, einfach auch einmal faul zu sein und nichts zu tun zu haben. 

In den ersten Kapiteln setzt sich Hille mit der Zeit im Allgemeinen auseinander. Er erklärt, wie Zeit entsteht, schreibt über Zeiterfahrungen und Zeitempfinden sowie über unterschiedliche Zeitkonzepte und geht dann auf die sogenannte Slow-Revolution ein. Im Online-Zeitalter leiden Menschen vermehrt an Burn-out, Sucht oder Depressionen, wir haben es verlernt abzuschalten und nichts zu tun. Das Zauberwort heißt daher "Slow", langsamer zu treten und wieder bewusster zu leben, das Leben wieder mit all seinen Facetten genießen zu lernen. Der Autor nennt "Slow" das neue Bio und er meint damit, dass es notwendig sei, nicht ständig Ablenkung in einer digitalen Ersatzwelt zu suchen, sondern die Schätze auch offline zu entdecken. 

Das Glück des langsamen Lebens besteht daher darin, den Augenblick zu genießen, das Leben wieder bewusster wahrzunehmen, achtsamer zu sein. Allerdings sind wir kaum mehr in der Lage, uns selbst zu begegnen, denn Alleinsein wird mit Einsamkeit gleichgesetzt. Das Gleiche gilt für die Langeweile, denn wir sollen doch eigentlich ständig etwas Sinnvolles tun. Das Ergebnis: Wir fühlen und zerrissen und ausgelaugt und flüchten in uferlose Aktivitäten. In der Antike hingegen galt das Nichtstun als Ideal. Ein Müßiggänger verbringt seine Zeit, ohne einen gewissen Zweck zu verfolgen, er ist auf vollkommen absichtslose Weise aktiv, wodurch man sich seiner eigenen Identität bewusst wird. Ein Müßiggänger genießt es zu staunen und lässt alles auf sich zukommen.

In einem weiteren Kapitel setzt sich Winfried Hille mit dem langsamen Gehen auseinander, das entspannt, entschleunigt und erdet. Beim Slow Walking konzentriert man sich bewusst auf den Atem und den Bodenkontakt, was die Pädagogin Ruth Gottschall auch als "mit den Füßen atmen" bezeichnet. Das achtsame Gehen verfolgt keinen Zweck und kein bestimmtes Ziel und ist daher ein freies Gehen. Eine andere Möglichkeit, um mit sich selbst ins Reine zu kommen, ist das Wandern, wobei Hille der Ansicht ist, dass man eine Wanderung alleine machen sollte, um eins mit der Natur zu werden. 

Ein Lebensbereich, in dem es sich lohnt, sich ebenfalls Zeit zu lassen, ist die Liebe. Liebe lässt sich nicht beschleunigen, da man Zeit für Gespräche, für Nähe und Distanz braucht. Genau das scheinen wir aber verlernt zu haben: uns Zeit zu nehmen für unser Gegenüber und unsere Gefühle. Schließlich geht Hille auch auf die Kunst des langsamen Reisens ein. Für viele von uns ist der Urlaub kaum mehr als eine Verlängerung der Arbeitszeit. Alles wird genau geplant, Smartphone und Laptop sind mit dabei und es gibt kaum Zeit zu echter Erholung. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit und am Ende wundert man sich, warum man eigentlich gänzlich unerholt nach Hause zurückkehrt. Der Gegentrend dazu ist das sogenannte "Slow Travelling", eine Philosophie des Reisens, die von Dan Kieran entwickelt wurde. Demnach sollte man seine Urlaubstage nicht verplanen, sondern offen sein für Zufälle und sich treiben lassen. Hieran erklärt dazu: "Die richtigen Erlebnisse passieren immer zufällig. Man geht mit Plänen los, aber es geht nicht darum, das zu sehen, von dem man schon vorher wusste, dass es da ist. Die Dinge, an die man sich erinnern wird, sind diejenigen, die man nicht vorhersehen konnte."

Thomas Strässle: Gelassenheit. Über eine andere Haltung zur Welt

Thomas Strässle hat ein Buch mit dem Titel "Gelassenheit. Über eine andere Haltung zur Welt geschrieben, in der er sich diesem Thema auf eine Art nähert, die ich sehr mochte. Heutzutage ist der Begriff Gelassenheit allgegenwärtig, er besitzt allerdings eine sehr komplexe und vielschichtige Tradition. Besonders interessant fand ich die Beschreibung zweier Gesten, die diese Lebenshaltung zum Ausdruck bringen können:

 

"Die zur Faust geschlossene Hand kann nur angreifen oder abwehren. Sie ist Ausdruck einer geballten Kraft, die sich durchsetzen will - gegen äußere Widerstände oder gegen innere Schwäche. Die geöffnete Hand hingegen kann aufnehmen. Und sie kann jederzeit zugreifen. Eine Faust müsste sich dazu erst lösen. Ist die Hand nach oben geöffnet, bittet sie um etwas, das sie empfangen will. Ist sie nach unten geöffnet, bittet sie um nichts. Sie lässt ab - und gerade dadurch lässt sie zu, ohne etwas zu erwarten."

 

Ich mag dieses Bild der geöffneten Hand, die symbolisch für das Loslassen, einem anderen das Seine lassen, sich auf jemanden verlassen, ihm vertrauen steht. Kann man sich selbst aus seinen Verstrickungen entlassen, legt man dafür die Grundlage für ein Verhältnis zur Welt, das auf Zutrauen bzw. auf Vertrauen beruht. 

Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft

Es gibt im Verlag Matthes & Seitz die Reihe "Fröhliche Wissenschaft", dünne Heftchen mit Essays, die man überall mit hinnehmen kann und die voller kluger Gedanken stecken. Eines davon ist die "Müdigkeitsgesellschaft" von Byung-Chul Han, in dem er den Ansatz vertritt, dass unsere Gesellschaft von einem Übermaß an Positivität beherrscht wird und wir zudem einen Übermaß an Reizen, Informationen und Impulsen ausgesetzt sind, wodurch eine tiefe Aufmerksamkeit von einer Hyperaufmerksamkeit verdrängt wird. Im Zuge dieser allgemeinen Beschleunigung wird die Leistungsgesellschaft schließlich zu einer Müdigkeitsgesellschaft, die an ihrer Unendlichkeit an Möglichkeiten zu scheitern droht.

 

"Wir leben heute in einer Welt, die sehr arm ist an Unterbrechungen, arm an Zwischen und Zwischen-Zeiten. Die Beschleunigung schafft jede Zwischen-Zeit ab."

Lesefutter*:

Winfried Hille: Slow. Die Entscheidung für ein entschleunigtes Leben. 

 

Thomas Strässle: Gelassenheit. Über eine andere Haltung zur Welt.

 

Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft. Verlag Matthes & Seitz.

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