Wien - Zwischen Kulturdenkmälern und grünen Oasen oder wie man auch in einer Großstadt die Langsamkeit entdecken kann

"Irgendwann einmal, als ich noch nicht wissen konnte, was ich jetzt weiß, habe ich mich für die Bewegung entschieden, und später, als ich mehr wusste, habe ich begriffen, dass ich in dieser Bewegung die Ruhe finden konnte, die man fürs Schreiben braucht, dass Bewegung und Ruhe einander in einer Einheit der Gegensätze im Gleichgewicht halten." (Cees Nooteboom)

Wien hat viele Gesichter. Da gibt es Asphaltmeere, wo man dem Soundtrack der Pflastertöne nicht entkommen kann. Plätze, an denen sich so viele Menschen drängen, dass einem schwindlig wird und man schwankt und wo der Lärm noch ein wenig lauter ist. Plätze, an denen so viele Fotos gemacht werden, dass es für mehrere Leben reichen würde und die Frühlingsluft sich mit dem Geruch von Curry-Wurst und Riesen-Hotdogs mischt. "Das ist unser Favorit", sagt der Verkäufer am Würstlstand zu einem Gast vor mir.

Trotzdem Respekt haben vor den monumentalen Prunkbauten und sich vorstellen, dann wiederzukommen, wenn die Stadt schläft und die Pflastertonchoreographien verstummt sind, um sich vor den Denkmälern sitzend Geschichten auszudenken und in längst vergangene Zeiten zu reisen.

Und dann gibt es Stellen, die sich anfühlen, als wäre man aus dem Rahmen gefallen, als hätte man die Tür zu einem Garten geöffnet oder die Grenze in ein anderes Land überschritten. Der Setagayapark oder der Wiener Prater, der sich wie ein riesiger, grüner Abenteuerspielplatz vor einem öffnet, sind zum Beispiel solche Orte. Hier scheint der Alltag eine Pause einzulegen, hier ist man weit weg von Lärm, Getümmel und Autoverkehr. Hier ist das Leben auf Wind und Sonne reduziert, hier verknüpfen sich Baumkronen zu einem Naturbalkon, der mit seinen Schichten aus unterschiedlichsten Grüntönen wie ein Schutzschild wirkt. 

Oder der Donau entlang sich Schritt für Schritt freilaufen, damit sich der Blickwinkel weitet. So lange, bis man eine Stelle findet, an der man sich häuten kann, um wieder durchlässiger zu werden, und an der die Welt zugleich klar und gedankenreich zu sein scheint.

Immer wieder verlorengehen in diesem Labyrinth aus Eindrücken, sich auf den Weg einlassen, um ihn so zu seinem ganz eigenen Weg machen zu können. Und dann: Alle perspektivisch eingesammelten Eindrücke zusammenfügen zu einem Ganzen, zu einem neuen Stück Erinnerung.

 

Man sollte sich viel öfter verlaufen

Wien - Aufgelistet:

  • Den Tag am Karmelitermarkt beginnen. Zum Beispiel im Café Mima, das durch seine gemütliche Wohnzimmeratmosphäre einen ganz besonderen Charme ausstrahlt.

  • „Sehen kommt vor Sprechen. Kinder sehen und erkennen, bevor sie sprechen können“, hat der Kunstkritiker John Berger einmal gesagt, der es sich zur Lebensaufgabe machte, Menschen zu überzeugen genauer hinzusehen. Wieder genauer Hin-sehen zu lernen geht gut in einem Museum, zum Beispiel in der Albertina oder im Leopoldmuseum.

  • Oder die Stadt erwandern, denn Wien verfügt über insgesamt 10 Stadtwanderwege sowie einen Rundwanderweg, der insgesamt 24 Etappen umfasst.

  • Wer lieber an einer Führung teilnimmt, findet beim Verein Wiener Spaziergänge interessante Angebote, darunter zum Beispiel eine Führung am Wiener Zentralfriedhof, Hundertwassers städtische Fantasien oder einen Spaziergang durch das Cottageviertel von Währing.

  • Und dann natürlich in einem Buchshop stöbern. Zum Beispiel bei Hartliebs Bücher oder in der Buchhandlung im Stuwerviertel.

Zum Lesen, Anschauen und Hören (nicht nur auf Wien bezogen, sondern für alle, die gerne langsamer unterwegs sind):

  • In Pursuit of Silence. Ein Film über die Stille, die heutzutage immer mehr zum Luxusgut wird.
  • "Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hinzuschauen" ist ein Zitat von Astrid Lindgren, das mich schon lange begleitet. Dazu ein Text von Siegfried Lenz über das aktive Nichtstun.
  • Immer wieder - Allain de Botton hören und was er über das Reisen zu sagen hat.
  • Und dieses Lied...."Journey for a Traveller" von Nils Frahm und Anne Müller.

Gespenst von Wien

 

Wien. Touristenstadt.

Auf wie vielen Fotos mag ich wohl sein, im Vorbeigehen fotografiert

von staunenden Reisegruppen, ungewollt im Hintergrund oder Vordergrund

einer Sehenswürdigkeit eingefroren, von mir unbemerkt

und vielleicht auch von ihnen, auf jeden Fall nicht beachtenswert.

Ich muss auf der ganzen Welt verstreut sein,

in Familienalben eingeschlichen, verschwommen.

Gespenstisch.

 

(Alexia Kathmann)